Quelle: Weiterbildungsblog
Autor: jrobes
Ich habe es endlich geschafft und das neue Buch von Jöran Muuß-Merholz, „Digitale Zusammenarbeit 4.0“, gelesen. Über den Autor muss ich an dieser Stelle nicht mehr viel sagen. Jöran Muuß-Merholz ist schon seit vielen Jahren mit Bildungsthemen unterwegs, engagiert sich für Open Educational Resources, und sein Buch „Barcamps & Co.“ ist mein Referenzwerk, wenn ich mit Menschen über Formen und Formate des Peer Learnings spreche.
Jetzt also „Digitale Zusammenarbeit 4.0“. Es sind genau genommen zwei Bände. Im ersten Band geht es um „Prinzipien“, im zweiten um „Praktiken“. Insgesamt über 700 Seiten, die aber sehr lesefreundlich daherkommen. Heute sagt man gerne „Playbook“ zu solchen Büchern, bei Jöran Muuß-Merholz steht „Gebrauchsanleitung!“ auf dem Cover. Wenn man die beiden Bände liest, schaut man Jöran und seinem Team („J&K – Jöran und Konsorten“) beim Arbeiten über die Schulter. Die Agentur arbeitet digital, kollaborativ, vernetzt, in der Cloud, und weil das viele interessiert, hat Jöran Muuß-Merholz seine Erfahrungen strukturiert (die Prinzipien) und dokumentiert (die Praktiken).

Band 1, Kapitel 1: „Grundlagen: Fünf zentrale Begriffe“
Das erste von vier Kapiteln lautet „Grundlagen: Fünf zentrale Begriffe“. Vor allem ein Begriff steht dabei im Mittelpunkt des gesamten Buches: Pre-Empathie. Dazu heißt es: „Die Idee von Pre-Empathie meint: Ich muss nach-empfinden bzw. nach-denken, was mein Gegenüber in unserer Zusammenarbeit denken und tun wird. Und zwar möglichst schon, bevor er etwas tut, damit ich meine Arbeit mit seiner Arbeit abgleichen kann – die Grundlage für gelingende Zusammenarbeit. Ich muss also quasi den nächsten Arbeitsschritt meines Gegenübers vor-empfinden und vor-denken.“ (S. 42/43)
Die anderen zentralen Begriffe, Kooperation und Kollaboration, Koordination und Kommunikation, sind uns geläufiger. Kooperation bedeutet bei Jöran Muuß-Merholz „Arbeitsteilung im Sinne von „to divide“ (jede*r übernimmt ein Stück der Arbeit für sich), Kollaboration „Arbeitsteilung im Sinne von „to share“ (jede*r trägt zu einer gemeinsamen Arbeit bei). Daraus ergibt sich: „Je weiter eine Zusammenarbeit in Richtung Kollaboration gestaltet wird, desto wichtiger und aufwändiger wird die Koordination.“ (S. 78)
Hier ein kurzer Einschub: Jöran Muuß-Merholz verzichtet in seinem Buch auf den klassischen wissenschaftlichen Apparat mit Quellen und Literaturangaben („Gebrauchsanleitung!“). Trotzdem stellt er Verbindungen her, zum Beispiel zu David Allen und „Getting Things Done“ und zu David Weinberger und „Das Ende der Schublade: Die Macht der neuen digitalen Unordnung“. Ich würde noch „Working Out Loud“ hinzufügen, obwohl es in dem Buch nicht explizit erwähnt wird. Der Begriff „New Work“ fällt im Buch nicht (und ich habe ihn auch nicht vermisst).
Band 1, Kapitel 2: „Prinzipien: Konzepte und Begriffe“: Es gibt 14 Prinzipien, die die Grundlagen des ersten Kapitels konkretisieren. Sie reichen von „1. Pre-Empathie: Was mein Gegenüber im nächsten Schritt benötigt“ bis „14. Bevormundung: Ist das Pre-Empathie oder Paternalismus?“ Aber hier wird es schwierig, das Buch zusammenzufassen, weil sich jeder Leser und jede Leserin das herausnehmen wird, was „passt“. Oft habe ich mich beim Lesen gefreut, dass meine Routinen hier einen Begriff bekommen haben, zum Beispiel „Aufschreiben: Du sollst Dir keine Dinge merken“ und „Notifications: Automatisches Bescheid sagen“. An einer Stelle, „Finden: Nicht sortieren, sondern suchen und verlinken“, hatte ich das Gefühl, das man noch stärker auf die Arbeit hätte eingehen können, die hinter Verlinkungen und Hashtags steckt.
Band 2, Kapitel 3: „Praktiken: Methoden, Standards und Hacks“: Hier wird es jetzt wirklich konkret. Jöran Muuß-Merholz beschreibt in diesem Kapitel, wie sie in der Agentur Dokumente, Termine und die Kommunikation „pre-empathisch managen“. Ich habe mir aus diesen Kapiteln sehr viele konkrete Beispiele geholt, die ich in Zukunft verstärkt oder wieder einsetzen möchte. „Meine“ Punkte aus dem Bereich „Dokumente“ sind beispielsweise:
– das Master-Doc als „Dauer-Agenda und Mammut-Protokoll für Besprechungen“
– die Verlinkungen „im manuellen Mini-Menü“
– „Formulare – ein Loblied auf pre-empathische Bürokratiemonster“
– „Lessons Learned Doc – Akute Dinge für spätere Auswertung festhalten“
Band 2, Kapitel 4: „Ausblicke: Anfangen und Weitermachen“: Auf zwei Herausforderungen im Umgang mit dem Handwerkszeug der pre-empathischen digitalen Zusammenarbeit kommt Jöran Muuß-Merholz abschließend selbst zu sprechen: Das ist zum einen die Schwierigkeit, diese Vorschläge erfolgreich umzusetzen, wenn nicht alle in meiner Arbeitsumgebung mitziehen. Hier schlägt er sehr pragmatisch Prinzipien und Methoden vor, mit denen man selbst im Kleinen beginnen kann, und andere, die mehr mit einem Change ganzer Abteilungen oder Organisationen einhergehen. Aber die Herausforderung bleibt natürlich …
Der andere Punkt betrifft die konkreten Plattformen und Tools, die es braucht, um eine digitale Zusammenarbeit 4.0 zu leben. In der Welt von Jöran Muuß-Merholz sind das vor allem Google Workspace und Trello. Hier muss jetzt jede/r selbst überlegen, auf welchen Plattformen er/ sie unterwegs ist, wo es Alternativen gibt, wie sie funktionieren, was übertragbar ist usw.
Die Künstliche Intelligenz (KI) spielt in diesem Buch keine Rolle. Jöran Muuß-Merholz widmet ihr ein kurzes Kapitel am Ende des zweites Bandes. Er beschreibt das Zusammenspiel als „Ping-Pong-Denken zwischen Mensch und Maschine“. Man kann hier zwischen den Zeilen lesen, dass das nicht folgenlos für die „pre-empathische digitale Zusammenarbeit“ bleiben wird und sicher in einer Neuauflage des Buches mehr Raum einnehmen wird.
Abschließend: Das Buch steht jetzt als Nachschlagewerk auf meinem Schreibtisch. In meinen Kursen und Workshops zu „Projektmanagement“ und „Wissensmanagement“ wird es schnell seinen festen Platz bekommen.